100 Stunden im Schnee – Erfahrungsbericht

 

Text: Julia Schoch

 

Vom 17. bis 21. Februar 2020 verbrachten wir 5 Tage in einer märchenhaften Winterlandschaft.

Ein Wintertrekking in den Schweizer Alpen, wie es zuvor die wenigsten erlebt haben. Die Teilnehmenden begeben sich mit den beiden Reiseleiterinnen Yumi und Michèle auf ein 5 tägiges Abenteuer im Schnee. Ja, nur im Schnee. 5 Tage draussen. Unterwegs sein mit Schneeschuhen und Pulka, einem Zugschlitten, um Material im Schnee zu transportieren. Kochen mit Hobo und Gaskocher. Schlafen im Iglu, Biwak oder unter freiem Himmel. Biwak und Iglu waren dabei natürlich selbst gebaut. 

Die Reise beginnt…

Am Montag den 17. Februar um 10:30 waren wir am Treffpunkt in Thusis. Die zwei Reiseleiterinnen Yumi Adachi und Michèle Marti und die fünf Teilnehmenden. Sechs Frauen und ein Mann. Der sprichwörtliche Hahn im Korb.

Nun beginnt die Reise. Wir werden 100 Stunden gemeinsam im Schnee verbringen, ohne Hütte und ohne Bett. Wir werden in Biwaks, Iglus oder unter dem Sternenhimmel schlafen. 

Die Emotionen lagen bei diesem ersten Aufeinandertreffen spürbar in der Luft, allen sah man die Vorfreude aber auch die Aufregung an. Das war der Moment, an dem es los ging. An dem es kein Zurück mehr gab (Natürlich gibt’s jederzeit ein Zurück, aber wir wollten ja nicht zurück). Die Anspannung, die in der Luft lag, wurde in Form von Tränen in den Augen einer Teilnehmerin sichtbar. Nicht auf eine negative Art. Die Emotionen, die aufkommen sind sehr ursprünglich: man begibt sich auf ein echtes Abenteuer.

Nach einer kurzen Begrüssung gingen wir gemeinsam Einkaufen. Die Mahlzeiten wurden grösstenteils im Voraus gemeinsam geplant und einige haben schon etwas vorbereitet und mitgebracht. Den Rest besorgen wir bei einem kurzen Besuch im Einkaufszentrum. Bevor wir weiterfahren, werden wir noch gefragt, ob wir alle genug Vertrauen in unsere Schlafsäcke hätten. Michèle hatte nämlich noch einen zweiten Winterschlafsack dabei, für den Fall der Fälle. Aber alle fühlten sich top ausgerüstet. Das Thema Ausrüstung war im Vorfeld natürlich ein grosses Thema. Was muss mit und wieviel davon? Die Packliste, die wir erhalten haben, war zum Glück sehr detailliert.

Die Suche nach dem Schnee

Danach geht’s noch ein Stück mit dem Auto weiter zum Ausgangspunkt unseres Wintertrekkings. Bei der Ankunft fällt uns auf, dass kein Schnee auf dem Weg liegt und wir ahnen schon, dass wir noch ein gutes Stück den Berg rauf laufen müssen, um in unserer Wunsch-Winterlandschaft zu anzukommen.

Aber zuerst wird das Material verteilt. Jeder hat sein persönliches Gepäck. Dazu kommt das Gruppenmaterial, dass die Reiseleiterinnen mitgebracht haben. Phuu, das ist eine ganze Menge… Einen Teil des Materials transportieren wir aber in sogenannten Pulkas, das sind Ziehschlitten, um im Schnee möglichst mühelos Material zu transportieren. Nur hat es am Startpunkt ja noch keinen Schnee…

Also packen wir die Ziehschlitten erstmal auf Leiterwagen und legen den ersten Teil des Weges damit zurück.

Nach kurzer Zeit haben wir den Schnee erreicht und konnten unseren Weg wie geplant weitergehen. Die Schlitten im Schlepptau und mit Schneeschuhen an den Füssen machten wir uns auf den Weg.

Da der diesjährige Winter nicht gerade ein Höchstmass an Schnee mit sich gebracht hat, mussten wir etwas länger als geplant durch den Schnee wandern, bis wir unsere erste Übernachtungsstation erreichten. Insgesamt waren wir mit Pausen fast 5 Stunden unterwegs.  Das war allerdings auch mit Abstand der anstrengendste Tag. Um es uns etwas leichter zu machen, gingen wir an einen Ort, an dem in der vorherigen Woche schon ein Kurs stattgefunden hat, bei dem Michèle dabei war. Bei diesem Kurs hatten die Teilnehmer auch in Schneebiwaks geschlafen und diese dann für uns stehen lassen. Wir konnten uns für die erste Nacht ausnahmsweise also in schon gemachte Nester legen.

Bei einem gemütlichen Abendessen im Gruppencamp, das die «Küchencrew» zubereitete, war Zeit für Gespräche. Zudem gaben uns die Reiseleiterinnen Tipps, wie man bei dieser Kälte für genügend Wärme im Schlafsack sorgt. Beispielsweise, dass wir unsere Trinkflaschen mit heissem Wasser auffüllen und als Wärmflasche in den Schlafsack mitnehmen können. Das hat auch den Vorteil, dass man morgens schon Trinkwasser hat und nicht erst Schnee schmelzen muss.

Danach ging es ab ins Schlafzimmer. In dieser ersten Nacht schliefen die meisten nicht sonderlich gut, wenn auch nicht schlecht. Zu ungewohnt ist das frisch bezogene Schlafzimmer mitten in den Bergen. Einschlafen heisst ja auch, Kontrolle abzugeben. Und das will draussen im Winter erstmal geübt sein. 

Doch das wurde bereits in der zweiten Nacht einfacher. 

Angekommen

Morgens gab es dann erst mal Frühstück. Nachdem wir uns die Bäuche vollgeschlagen haben, tauschten wir uns in der Gruppe über unsere Hoffnungen, Wünsche und Befürchtungen für diese Zeit im Schnee aus. Bereits da wurde spürbar, dass das Thema Veränderung für alle Teilnehmenden eine grosse Rolle spielte. Dazu später aber mehr.

Nach diesem Austausch haben wir gemeinsam entschieden weiter zu ziehen, anstatt noch eine Nacht zu bleiben. Das hiess Packen, Biwaks abbauen und Schneeschuhe anschnallen.

Und so liefen wir gegen Mittag los. Auf der Suche nach einem guten Platz, der windgeschützt ist und die richtigen Schneebedingungen bietet um Biwaks und Iglus zu bauen.

Und diesen fanden wir auch, nach relativ kurzer Zeit. Da mussten wir natürlich alles neu aufbauen. Da die meisten noch nie ein eigenes Schneebiwak erschaffen hatten, standen uns die Reiseleiterinnen mit Rat und Tat beiseite. Vor allem die Wahl des Standortes sei wichtig, liessen wir uns sagen. Ansonsten kann es passieren, dass man nach einer Stunde schaufeln auf einen Felsen trifft und die ganze Arbeit umsonst war. Doch die erfahrenen Augen von Yumi und Michèle verrieten uns die besten Plätze und Techniken und so fingen wir an zu schaufeln.

Einige Teilnehmende entschieden sich eine Schnee-Wohngemeinschaft zu bilden, andere wiederum wollten gerne alleine schlafen. Zu zweit bereitet das Bauen des Schneebiwaks natürlich etwas weniger Aufwand, aber wir waren ja nicht da, um auf der faulen Haut zu liegen. Wir wollten ein Abenteuer und bekamen es auch. Insgesamt dauerte es etwa drei Stunden bis wir das Gruppencamp und die Biwaks fertig hatten. Ja, das war anstrengend. Aber was waren wir stolz danach!

Sich selber eine Unterkunft im Schnee zu bauen hat etwas kindlich-aufregendes. Wie damals, als wir als Kind Schneehöhlen gebaut haben.

Das Gruppencamp haben wir alle gemeinsam gebaut. Dieses diente als Aufenthaltsraum und als Küche. Es war also sozusagen unser Wohnzimmer. Sehr gemütlich!

Nach einem leckeren Abendessen waren wir dann alle etwas k.o. und freuten uns, in unsere frisch gebauten Betten zu liegen. Etwa um halb neun hatten wir uns verabschiedet, um spätestens zehn waren dann alle im Bett und der zweite Tag war auch schon rum.

Am dritten Tag schien die Sonne morgens. Und so haben wir unsere Schlafsäcke gelüftet und die warmen Sonnenstrahlen im Gesicht genossen. Nach der ersten Nacht in unseren selbstgebauten Biwaks hatten wir das Bedürfnis diese noch zu optimieren und zu verschönern. Eine Ablage neben dem Bett, einige Ausbuchtungen für Kerzen und Verzierungen in die Aussenwände wurden gezaubert. Ab Mittag zogen Wolken auf und es begann zu schneien. Doch wir hatten noch etwas Wichtiges vor…

Ein Teilnehmer hatte sich am ersten Tag einen Hexenschuss zugezogen und hatte sich an diesem Tag entschieden, dass er nach Hause gehen möchte.

Also haben wir uns entschieden, ihn ein Stück auf dem Rückweg zu begleiten.

Natürlich haben wir alle sehr bedauert, dass er nach Hause musste. Doch er selbst meinte beim Abschied, dass er bereits in diesen Tagen soviel gelernt und die Zeit genossen hatte, so dass es sich für ihn bereits gelohnt hat. Trotzdem fand er es natürlich schade. Aber so ist das, wenn man sich auf ein Abenteuer begibt. Es kann jederzeit etwas Unvorhergesehenes geschehen.

Nun, nachdem wir uns verabschiedet hatten, ging es für uns weiter mit Holz sammeln und Blöcke sägen für unser geplantes Iglu. Zudem kam von den Teilnehmerinnen der Wunsch, mehr übers Karten lesen zu lernen. Im Schnee hat man ja keine Wanderwege, denen man folgen kann. Somit muss man sich mit Karte und Kompass zu orientieren wissen.

Während die einen einen ersten Basic-Kurs im Kartenlesen erhielten, haben die anderen mit dem Bauen eines Iglus begonnen.

Nach einem gemeinsamen Abendessen gings dann ab ins «Bad» und danach ins optimierte Biwak.

Karten und Kompass lesen lernen

Auf Wunsch einiger Teilnehmerinnen nahm sich die Leitung am 4. Tag Zeit uns ausgiebig zu zeigen, wie man im Schnee navigiert. Da man ja keine Wege sieht, ist man auf Kompass und Karte angewiesen. Beziehungsweise darauf, diese richtig zu einzusetzen 🙂 

Die neu erlernten Fähigkeiten wurden dann auch gleich auf einer Wanderung getestet. Hat alles super geklappt. Danach haben wir zusammen Mittag gegessen und uns gestärkt für unser grosses Ziel heute: Iglu fertig bauen!

Und das haben wir auch geschafft. Unser kleines Schneedorf war komplett! Vor allem im Dunkeln sah das auch wunderschön aus. Das Leuchten der Unterkünfte unter diesem Sternenhimmel… Wow. 

Und so waren wir am nächsten Tag auch etwas traurig, dass es schon zu Ende war. Nichtsdestotrotz freuten wir uns aber auch auf eine warme Dusche.. Denn obwohl wir alles hatten, was wir brauchten: ein Badezimmer mit fliessend warmem Wasser gabs nicht. 

Das bedeutete jedoch nicht, dass wir alle unsere Hygienevorstellungen über den Iglu-Rand warfen und uns nicht mehr pflegten.

Aber Tatsache ist, dass Duschen unmöglich war und wir uns mit Waschen «durchschlagen» mussten. Aber das war kein Problem. Wir waren top ausgerüstet mit Merino- oder anderer Wollkleidung. Diese wirkt geruchsneutralisierend. Somit war es absolut vertretbar sich 3 Tage nicht zu duschen. Am ersten und letzten Tag konnten wir ja unserer üblichen Körperpflege nachgehen.

Spannend dabei war auch, wie schnell die täglichen Beauty-Rituale aus dem Fokus verschwinden. Einige Teilnehmerinnen sind sich so gewohnt jeden Tag Make-up aufzutragen, dass sie es auch auf diese Reise mitnahmen. Und klar, man kann und darf sich auch draussen schminken! Aber meistens rutscht das auf der Prioritätenliste nach unten.

Nach dem Frühstück haben wir also zusammengeräumt. Das Iglu haben wir stehen gelassen, die Camps abgebaut und die Löcher haben wir zugeschaufelt – aus Ästhetik- und Sicherheitsgründen. 

Danach liessen wir die Tage noch gemeinsam Revue passieren. Die Zeit im Schnee war nicht nur ein physisches Abenteuer, sondern auch eine innere Reise. 

Wir alle waren als Menschen auf dieser Reise, mit unseren Ängsten und Unsicherheiten, Träumen und Hoffnungen.

Dem wurde auch Rechnung getragen. Man hatte immer mal wieder Zeit für sich, um nachzudenken, zu reflektieren. Aber auch die Möglichkeit, in der Gruppe oder mit der Reiseleitung Themen zu besprechen, die einen aktuell begleiteten. Das Thema, dass die meisten begleitete war «Veränderung». Wo stehe ich, wo möchte ich hingehen. Zu diesem Thema haben diejenigen, die Lust hatten, in diesen Tagen auch eine kleine Arbeit gemacht.

Was am Ende übrig blieb war mehr als nur Spuren im Schnee. Neue Wege wurden gegangen, in Gedanken, wie auch im Schnee. Neue Kraft wurde geschöpft, durch schöne Erinnerungen und entstandene Freundschaften. 

Und jetzt?

Die Saison 21 schaut vielversprechend aus! Viel Schnee bedeutet viele Möglichkeiten. Touren und Behausungen aller Art sind möglich. Es warten also neue Abenteuer auf uns, neue Geschichten werden geschrieben, kleine und grosse. Wir freuen uns darauf….